{"id":2442,"date":"2018-02-14T10:37:09","date_gmt":"2018-02-14T09:37:09","guid":{"rendered":"https:\/\/kriegsfolgen-ueberwinden.de\/?p=2442"},"modified":"2018-12-11T17:51:42","modified_gmt":"2018-12-11T16:51:42","slug":"auf-der-suche-nach-einer-gemeinsamen-sprache-im-kleinprojekt-des-forumtheaters-in-iwano-frankiwsk","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/kriegsfolgen-ueberwinden.de\/auf-der-suche-nach-einer-gemeinsamen-sprache-im-kleinprojekt-des-forumtheaters-in-iwano-frankiwsk\/","title":{"rendered":"Auf der Suche nach einer gemeinsamen Sprache im Kleinprojekt des Forumtheaters in Iwano-Frankiwsk"},"content":{"rendered":"

\u201eWie finden wir eine gemeinsame Sprache?\u201c<\/strong> hei\u00dft das Kleinprojekt, das in Iwano-Frankiwsk<\/strong> stattgefunden hat und auf kriegsbedingte Konflikte zwischen russischsprachigen Binnenvertriebenen und der ukrainischsprachigen \u00f6rtlichen Bev\u00f6lkerung reagiert. Mittels gemeinsamer Schulung und\u00a0\u00f6ffentlichen Forumtheater-Auff\u00fchrungen wurde ein Dialograum geschaffen, in dem die in Folge des Krieges in der Ostukraine entstandenen Ressentiments und Vorurteile\u00a0aufgebrochen und einander vorurteilsfrei begegnet werden konnte.<\/p>\n

Das Kleinprojekt \u201eWie finden wir eine gemeinsame Sprache?\u201c ist eines der f\u00fcnf von uns gef\u00f6rderten Forumtheater-Projekte zur Konfliktbearbeitung<\/a> und wurde von Julia Ostrogliad aus der Allukrainische Assoziation \u201edie UkrainerInnen f\u00fcr Donbass und Krim\u201c realisiert. Julia Ostrogliad ist Teilnehmerin unserer Schulungsreihe \u201eForumtheater zur Dialog- und Friedensarbeit\u201c<\/a>, in deren Rahmen wir das Kleinprojekt finanziell gef\u00f6rdert und fachlich unterst\u00fctzt haben. Mit ihrem Projekt konnte Julia Ostrogliad das in der Schulung erworbene Wissen unmittelbar konfliktmindernd anwenden. Ziel des Projektes war es, den kriegsbedingten innergesellschaftlichen Konflikt zu bearbeiten, in welchem die Sprachwahl (Russisch oder Ukrainisch) als politische Positionierung gewertet wird und der Sprechende dementsprechend nicht selten Vorurteilen und Diskriminierungen begegnet.<\/p>\n

An dem Kleinprojekt nahmen 20 EinwohnerInnen der Stadt Iwano-Frankiwsk teil, darunter zehn russischsprachige TeilnehmerInnen \u2013 mehrheitlich Binnengefl\u00fcchtete \u2013 und zehn ukrainischsprachige Menschen \u2013 haupts\u00e4chlich OrtsbewohnerInnen.<\/p>\n

In einem ersten Schritt f\u00fchrte die Projektleiterin Julia Ostrogliad zwei gesonderte Trainings f\u00fcr die russisch- und ukrainischsprachigen TeilnehmerInnen durch, deren Ergebnisse die Grundlage f\u00fcr zwei Szenen des Forumtheaters bilden. Diese spiegeln vorab die einseitige Sicht der jeweiligen Gruppen auf den kriegsbedingten und an die Sprache r\u00fcckgebundenen Konflikt wieder. Im zweiten Schritt arbeiteten dann alle 20 TeilnehmerInnen zusammen und vereinten die beiden Szenen in einer Auff\u00fchrung mit dem Titel \u201eWie sich Mowa (ukr. \u201aSprache\u2018)<\/em> und Jasyk (rus. \u201aSprache\u2018)<\/em> gestritten haben\u201c<\/strong>.<\/p>\n

Die Premiere dieser Inszenierung fand am 3. August 207 in Iwano-Frankiwsk statt. Als G\u00e4ste wurden BewohnerInnen der Stadt eingeladen, die sowohl zu den Binnengefl\u00fcchteten geh\u00f6ren, als auch VertreterInnen der Aufnahmegemeinde sind.<\/p>\n

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Die Handlung spielt am Namenstag von Saschas Vater. Zur Feier erscheint der junge Mann mit seiner Braut Katja, die vor einigen Jahren von der Krim geflohen ist. Das Paar gratuliert dem Vater und schenkt ihm einen Pullover mit russischer Aufschrift. Der Beschenkte ist deswegen so emp\u00f6rt, dass er den Pullover nicht annehmen m\u00f6chte. Doch nicht nur diese Situation stellt einen Konflikt dar: Zugleich fordert der Vater Katja auf, sie solle die ukrainische Sprache lernen. Als die Eltern von Katja, ebenfalls Binnengefl\u00fcchtete, auftreten und sich ihrerseits beklagen, dass niemand in Iwano-Frankiwsk die russische Sprache spricht und das Lernen und Verstehen der ukrainischen Sprache zu schwierig sei, eskaliert der Konflikt: Saschas Vater ist \u00fcberzeugt, dass man in der Ukraine die ukrainische Sprache lernen und sprechen m\u00fcsse.. Katjas Eltern hingegen sind der Meinung, dass sich die alte Gewohnheit, Russisch zu sprechen, schwer \u00e4ndern l\u00e4sst, besonders wenn alle Beteiligten Russisch verstehen und die Sprachwahl nichts mit den politischen Ansichten zu tun hat.<\/p>\n

Auf der Feier ist auch die Schwester von Saschas Vaters, Oksana, die mit ihrem Mann, einem geb\u00fcrtigen Ostukrainer, 20 Jahre im Gebiet Donezk lebte. Oksanas Mann fiel im Krieg in der Ostukraine, weshalb sie zu ihrem Bruder nach Iwano-Frankiwsk zur\u00fcckkehrte. Auch sie wirft Katja vor, die ukrainische Sprache aus Unlust nicht erlernen zu wollen, und berichtet, dass sie vor 20 Jahren auch in einem neuen Gebiet, die f\u00fcr sie neue, russische, Sprache lernen musste.<\/p>\n

Durch gegenseitige Vorw\u00fcrfe steigert sich die Unterhaltung zum Konflikt. Katja ist machtlos und kann ihre Position selbst nicht verteidigen. Als sich ihre Eltern in die Diskussion einmischen, beginnt sogar eine Schl\u00e4gerei.<\/p>\n

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An dieser Stelle bricht das St\u00fcck ab und der Moderator des Forums, d.h. der gemeinsamen Diskussion und Suche nach einer L\u00f6sung f\u00fcr den im St\u00fcck dargestellten Konflikt, \u00f6ffnet die Szene f\u00fcr das Publikum. Denn Ziel des Forumtheaters ist die gemeinsame aktive Suche nach Handlungsm\u00f6glichkeiten, mit denen der Konflikt friedlich beigelegt werden kann bzw. erst gar nicht entsteht: W\u00e4hrend der Auff\u00fchrung kann Jeder und Jede nach eigenem Ermessen auf die Entwicklung der Handlung Einfluss nehmen, indem sie oder er in eine der dargestellten Rollen schl\u00fcpft und eine andere Handlung f\u00fcr diese Rolle in der dargestellten Konfliktsituation anbietet. Auf diese Art und Weise werden im Laufe eines Forums die verschiedenen aus dem Publikum heraus vorgeschlagenen Handlungsm\u00f6glichkeiten unmittelbar auf der B\u00fchne auf ihr Konfliktl\u00f6sungspotential hin gepr\u00fcft und gemeinsam verbessert, bis der Konflikt gel\u00f6st ist.<\/p>\n

So wurde beispielsweise Sascha, Katjas Br\u00e4utigam, zwei Mal auf der B\u00fchne ersetzt, der in beiden F\u00e4llen eine aktivere Rolle im Konflikt spielte und als Mediator zwischen den Eltern, Katja und ihrer Familie vermitteln sollte. Zum einen versuchte Sascha seine Braut zu verteidigen, indem er Katjas Pers\u00f6nlichkeit und die Liebe \u00fcber ihre Sprachwahl stellte. Zum anderen erinnerte er die Anwesenden auch daran, dass sie alle ,unabh\u00e4ngig von der Sprache, UkraininerInnen sind, in einem Land leben und daher miteinander statt gegeneinander <\/span>– egal in welcher Sprache – reden sollten. Saschas Worte zeigten Wirkung und f\u00fchrte zu einem offenen Gespr\u00e4ch aller Beteiligten. Sie zeigten gegenseitiges Interesse an den Lebenssituationen der anderen, die von Krieg, Flucht und unerwarteter Zuwanderung von Binnengefl\u00fcchteten gepr\u00e4gt sind.<\/span><\/p>\n

Das Publikum im Saal fand in den im St\u00fcck pr\u00e4sentierten Konflikten ihre eigenen Erfahrungen wieder, die sie seit Kriegsbeginn machen mussten. Sowohl russischsprachige als auch ukrainischsprachige ZuschauerInnen best\u00e4tigten, dass diskriminierende Tendenzen hinsichtlich beider Sprachen existieren und die Sprachgrenze zwischen Russisch und Ukrainisch gezielt zur Trennung und Spaltung von West- und OstukrainerInnen genutzt wird.<\/p>\n

Das Kleinprojekt \u201eWie finden wir eine gemeinsame Sprache?\u201c zeigte diesen kriegsbedingten an die Sprache r\u00fcckgebundenen Konflikt und schaffte dank einer feinf\u00fchligen Konfliktanalyse mit der Forumtheater-Inszenierung einen offenen Dialograum, in dem das kriegsbedingte stereotype Denken durch individuellen Austausch und das Verst\u00e4ndnis f\u00fcr die \u00c4ngste und Bed\u00fcrfnisse des Anderen ersetzt und (Sprach-)Grenzen \u00fcberwunden wurden.<\/p>\n

Die\u00a0vollst\u00e4ndige Forumtheater-Auff\u00fchrung der Inszenierung\u00a0\u201eWie sich Mowa (ukr. \u201aSprache\u2018)<\/em> und Jasyk (rus. \u201aSprache\u2018)<\/em> gestritten haben\u201c <\/strong>auf Ukrainisch und Russisch,\u00a0k\u00f6nnen Sie\u00a0in\u00a0folgendem Video ansehen:<\/p>\n

https:\/\/www.youtube.com\/watch?v=349fwrX4HE<\/a><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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