Häusliche Gewalt als Kriegsfolge

Handlungsmöglichkeiten gegen häusliche Gewalt als Kriegsfolge

Die dreitägige Schulung richtet sich an 20 Psycholog*innen und Mitarbeiter*innen der NGO-Sozialdienste, die sich mit der Gewalt in der Familie beschäftigen.

Kriegsereignisse und häusliche Gewalt

Kriegsereignisse sind stets Ereignisse von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung, die sehr komplexe, tiefgreifende, oftmals sehr lange nachwirkende Folgen haben. Generell unterscheidet man zwischen zwei Hauptaspekten von Kriegsfolgen: materielle Verluste und Todesopfer. Es gibt jedoch eine ganze Reihe von Kriegsfolgen, die kurz- oder langfristige Auswirkungen haben, aber gleichsam im Schatten bleiben und bei der Gesamtanalyse von Kriegsfolgen nicht wahrgenommen werden. Es geht um verschiedene Arten von körperlicher Gewalt, Folter und Traumatisierungen, die die Überlebenden für den Rest ihres Lebens im Gedächtnis behalten werden. Diese Erinnerungen wirken sich äußerst erschwerend auf das Leben der Menschen aus und reduzieren die Bereitschaft zur Teilnahme an gesellschaftlichen Prozessen sowie die allgemeine Produktivität.

Die Bewältigung der Folgen verschiedener Arten von Folter, Gewalt und sexueller Gewalt erfordert langfristiges und umfassendes Engagement von allen Segmenten der Gesellschaft, von staatlichen Machtorganen und vom Nichtregierungssektor. Menschen, die den Krieg erlebt haben, sind oftmals zeitlebens von dieser traumatischen Erfahrung gezeichnet, ebenso wie jene, die durch Krieg und sexuelle Gewalt körperliche Verletzungen davongetragen haben und mit den daraus resultierenden Behinderungen leben müssen.

Die Bewältigung und Prävention dieser Folgen sind ausgesprochen wichtig, ebenso wie die Bewältigung der materiellen Folgen. Die Bestrafung der Kriegsverbrecher ist für die Opfer ein wichtiger Akt der Wiederherstellung von Gerechtigkeit und der moralischen Wiedergutmachung, gleichzeitig wirkt sie jedoch auch präventiv gegen die Neuentstehung oder die Wiederholung von Verbrechen. Durch die Bestrafung der Schuldigen entwickelt das Opfer neues Selbstwertgefühl, das Potenzial für die produktive Teilnahme an gesellschaftlichen Prozessen nimmt zu, und es entsteht ein Raum, in dem das Leben von Ängsten und von Druck befreit werden kann. Dies ist besonders wichtig für die Opfer, die an Gerichtsprozessen gegen Kriegsverbrecher bzw. Personen, denen Kriegsverbrechen zur Last gelegt werden, beteiligt sind. Damit solche Prozesse effektiv und produktiv verlaufen können, benötigen die Opfer Unterstützung in ihrem Streben nach Gerechtigkeit. Verschiedene Formen der Unterstützung von Gewaltopfern müssen in allen Segmenten der gesellschaftlichen Struktur vorhanden sein. Um dies effektiv zu gestalten, bedarf es der gegenseitigen Koordination aller Subjekte, die an diesen Prozessen beteiligt sind.

Häusliche Gewalt kann man als die meistverbreitete Form von Menschenrechtsverletzungen bezeichnen, der die Gesellschaft jedoch mit einem hohen Maß an Toleranz begegnet.[1] In wissenschaftlichen Publikationen zu diesem Thema wird immer wieder die Meinung vertreten, häusliche Gewalt entstehe vor allem infolge von posttraumatischer Belastungsstörung und sei eine Folge von Kriegsereignissen, die aggressives Verhalten in partnerschaftlichen Beziehungen fördern. Doch häusliche Gewalt existiert auch in Gesellschaften, die nicht von kriegerischen Auseinandersetzungen gezeichnet sind und deren Mitglieder nicht direkt oder indirekt an Kriegsereignissen beteiligt waren. Sexuelle und häusliche Gewalt, die sich in den meisten Fällen gegen Frauen und Mädchen richtet, beeinträchtigt die langfristige Entwicklung und die Funktionsfähigkeit einer Gesellschaft, deren fundamentale Werte auf der Achtung der Menschenrechte ohne Ausnahmen und geschlechtliche Unterschiede begründet sein sollen. An diesen Werten müssen sich die staatlichen Justizorgane beim Vorgehen gegen die Gewalt orientieren. Ebenso müssen die Behandlung der Folgen von Gewalt sowie die Unterstützung der Opfer von diesen Werten geprägt sein. Die Ausrichtung der Arbeit von Justizorganen auf die Probleme und Herausforderungen, denen Frauen und Mädchen begegnen, die sexuelle oder häusliche Gewalt erlitten haben, eröffnet den Opfern Möglichkeiten, sich der Wahrheit zu nähern und das Gefühl der eigenen Hilflosigkeit und Verlassenheit zu nivellieren, also jene emotionalen Zustände, mit denen sie täglich leben müssen.

Häusliche Gewalt ist ein Komplex von Verhaltensäußerungen, deren Ziel es ist, durch Gewaltanwendung, Einschüchterung und Manipulation Kontrolle über die Familienmitglieder zu erlangen. Opfer von Gewalt werden in den meisten Fällen Kinder, Frauen, ältere Menschen sowie Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Sie alle haben gemeinsam, dass sie in der bestehenden Beziehung die Position der Schwächeren innehaben, wobei bei Kindern, älteren Menschen und Menschen mit besonderen Bedürfnissen hinzukommt, dass sie von den stärkeren Familienmitgliedern abhängig sind.

Obwohl häusliche Gewalt in allen Gesellschaftsschichten vorkommt, existiert eine Reihe von Faktoren, die eine größere Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Gewalt bewirken. Die Kenntnis dieser Faktoren ist wichtig, denn sie bildet die Grundlage für Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt. Im einschlägigen Weltbericht „Gewalt und Gesundheit“[2] sind die maßgeblichen Risikofaktoren aufgeführt. Dazu gehören: niedriges Bildungsniveau, Armut, Gewalterfahrungen in der Kindheit, Annehmen des männlichen Verhaltensmodells, nach dem der Mann über mehr Rechte verfügt, traditionelles Familienmodell mit Dominanzstellung des Mannes, häufige Konflikte und ihre Eskalation, gesellschaftliche Toleranz gegenüber Gewalt, ineffiziente Gewaltbekämpfung durch die Justizorgane.

Gewalt kann in unterschiedlichen Formen und mit unterschiedlicher Intensität und Regelmäßigkeit vorkommen. Aber welche Formen die Gewalt auch annehmen mag, es handelt sich dabei immer um Verletzung der Rechte eines Menschen durch einen anderen sowie um die Unfähigkeit des Gewalttäters, seine Beziehung zum anderen Menschen und sein Streben nach Dominanz in der Beziehung mit anderen Mitteln zu regeln.

Trainingsbeschreibung

Die Entwicklung des Trainingsmoduls erfolgte in Absprache mit den Kooperationspartnern des Projektes. Bis zur endgültigen Ausgestaltung des Programms und der Tagesordnung behalten sich die Organisatoren vor, Änderungen vorzunehmen. Das dreitägige Trainingsmodul besteht aus drei Blöcken (jeweils ein Block pro Tag). Das Training umfasst folgende Themen:

Tag 1: Arbeit mit Frauen, die Gewalt erlitten haben (einschließlich Medien-Aktionen, öffentliche Informationskampagnen sowie Lobbyarbeit, gerichtet an offizielle Persönlichkeiten).

Tag 2: Arbeit mit Gewalttätern.

Tag 3: Bildung von Selbsthilfegruppen.

Tag 1

Die Organisation „Union der Frauen“ arbeitet unmittelbar mit Frauen und Kindern, die unterschiedliche Formen von Gewalt erfahren haben. Die Demonstration der Arbeitsmodelle bietet allen Anwesenden die Möglichkeit, Methoden der individuellen sowie der Gruppenarbeit mit Frauen, die Gewalt erlitten haben, kennenzulernen. Wir möchten auf folgende Themen eingehen:

  • Grundlegende theoretische Überlegungen zur häuslichen Gewalt (Arten der Gewalt, Opfer- und Täterprofil).
  • Das Umfeld, in der die Gewalt vorkommt, und das Bewusstmachen des Gewaltakts.
  • Kreislauf der Gewalt in der Familie (Arbeit mit Kleingruppen und Präsentationen).
  • Das Trauma und die Arbeit mit dem Trauma.
  • Posttraumatische Belastungsstörung.
  • Individuelle Arbeit mit dem Opfer (Arbeitsprinzipien, Nachspielen konkreter Situationen).
  • Schärfung des gesellschaftlichen Bewusstseins für das Problem der häuslichen Gewalt mit dem Ziel, die Opfer zum handeln zu motivieren (Medienaktionen, öffentliche Informationskampagnen, Lobbyarbeit usw.).
Tag 2

Die psychosoziale Arbeit mit Menschen, die häusliche Gewalt ausüben, umfasst individuelle sowie Gruppenarbeit durch Mitarbeiter*innen der Organisation „Union der Frauen“ mit dem Ziel, häuslicher Gewalt entgegenzuwirken. Die Arbeit ist darauf ausgerichtet, dass der Gewalttäter

  • lernt, sein Verhalten kritisch zu betrachten und Verantwortung für sein Tun zu übernehmen,
  • eine Reihe von Verfahren zur Kontrolle seiner Emotionen und seines Verhaltens erlernt,
  • seine sozialen Fähigkeiten entwickelt und
  • seine Einstellung, die zum Entstehen der Gewalt führt, ändert.

Während der psychosozialen Arbeit werden konkrete Bedingungen sowie der psychologische und der soziale Kontext betrachtet, in denen Akte häuslicher Gewalt stattfinden, in denen der Mann in den meisten Fällen den Gewalttäter und die Frau das Opfer darstellen. Meistens ist dies die Folge der Ungleichberechtigung von Männern und Frauen, die in der patriarchalen Tradition verwurzelt ist. Nach dieser Tradition wird der Mann mit dem Glauben an sein Naturrecht erzogen und daran, dass er seine natürliche körperliche Kraft zur Ausübung der Kontrolle über die Partnerin einsetzen darf.

Aus diesem Grund wird Gewalt in der Familie vor allem als Äußerung des angelernten Verhaltens betrachtet und nicht als Folge von individuellen psychischen Störungen, Drogengebrauch oder gestörten Beziehungsverhältnissen.

Die Gewaltanwendung in der familiären Beziehung ist die Folge einer persönlichen Entscheidung, und jeder Gewalttäter ist selbst für diese Entscheidung verantwortlich und muss selbst für diese Entscheidung haften. Trotz der Tatsache, dass Männer auf die oben beschriebene Weise sozialisiert sind und infolgedessen häufig an ihr „Naturrecht“ glauben, die Frau und die Kinder zu kontrollieren, und häufig auch von ihrem sozialen Umfeld dazu gedrängt werden, zur Regelung der Beziehungsverhältnisse in der Familie Gewalt einzusetzen, trotz alledem sind Männer in der Lage, ein anderes Verhaltensmodell zu wählen, für ihr Verhalten in der Familie die Verantwortung zu übernehmen sowie Methoden der gewaltfreien Konfliktlösung in der Familie zu erlernen.

Einige Männer wurden während des Heranwachsens selbst Opfer von Gewalt. Andere erlitten verschiedene Arten von Traumata, darunter auch körperliche Folterungen während der Kriegsereignisse, oder sie leiden an Folgen der posttraumatischen Belastungsstörung. Sie neigen häufig dazu, ihre traumatische Erfahrung als Rechtfertigung für ihr Verhalten anzuführen. Die Mitarbeiter*innen, die mit solchen Personen arbeiten, müssen die traumatische Erfahrung des Gewalttäters stets erkennen und von der persönlichen Verantwortung für die Gewalt gegenüber einem anderen Menschen trennen können.

Jede unterschätzte oder vom Täter durch die eigene traumatische Erfahrung gerechtfertigte Gewaltanwendung wird ihn in seinem Wunsch bestärken, auch weiterhin Gewalt anzuwenden.

Dies sind die Hauptaufgaben jedes Gewalttäters, der an der psychosozialen Arbeit teilnehmen will:

  1. Dem gewalttätigen Verhalten in der Familie entgegenwirken mit dem Ziel, es zu stoppen.
  2. Bewusstmachen des eigenen gewalttätigen Verhaltens und die Bereitschaft, die Verantwortung dafür zu übernehmen.
  3. Entwicklung von Kontrollmechanismen über die eigenen Emotionen und das eigene Verhalten.
  4. Erlernen von sozialen Verhaltensweisen, die das aggressive Verhaltensmodell ablösen können; Erarbeiten von nicht aggressiven Verhaltensmodellen.
  5. Änderung der Einstellung zu partnerschaftlichen Beziehungen in der Familie.
Tag 3

Das Training für die Selbsthilfegruppen erfolgt nach dem Programm der Organisation FENOMENA aus der Stadt Kralewo in Serbien, die beim Gesundheitsministerium der Republik Serbien akkreditiert ist und die sich mit der Organisation von Selbsthilfegruppen für Menschen mit traumatischen Erfahrungen beschäftigt.

Ziel des Trainings ist das Kennenlernen und Ausprobieren von Methoden der Bildung und Gestaltung von Selbsthilfegruppen für Frauen und Männer (beginnend mit der Planung und Vorstellung der Gruppen, über das Erarbeiten der Teilnehmerprofile und der Aufgaben der Gruppe, bis hin zur Erstellung des Gruppenprotokolls und Durchführung von Sessions, entsprechend dem Programm „Kraft der Veränderungen“).

Das Training setzt sich zusammen aus individueller Arbeit, Arbeit in Zweiergruppen, Arbeit in Kleingruppen, sowie Koordinierung der entwickelten Ziele, Aufgaben und Maßnahmen während des Plenums. Die Ergebnisse der Arbeit in Kleingruppen und in Plenardiskussionen werden anhand von Fleepcharts vorgestellt und somit allen Teilnehmer*innen zur Verfügung gestellt, damit sich alle Elemente der Diskussionen zu einem Ganzen zusammenfügen können.

Nach Beendigung des Trainings werden alle Teilnehmer*innen die erlernten Methoden bei der Arbeit mit Gewaltopfern und -tätern anwenden können, sowie bei der Arbeit mit anderen Traumatisierten.

Das Training muss mindestens folgende Kompetenzen vermitteln:

  • Das Verstehen der Struktur des Gewaltaktes in der Familie
  • Definition von häuslicher Gewalt
  • Das Verstehen der kulturellen, sozialen und familiären Aspekte der Entstehung häuslicher Gewalt
  • Kenntnis der Methoden, derer sich der Gewalttäter bedient, um seine dominierende Haltung und die Kontrolle über das Opfer aufrechtzuerhalten
  • Das Verstehen der Dynamik des Entstehens und des Verlaufs einer von Gewalt bestimmten Beziehung
  • Das Verstehen der Methoden, die die Gewalttäter nutzen, um Kindern Gewalt anzutun und sie zu manipulieren
  • Anzeichen für Risiken und Gefahren für die Opfer erkennen können
  • Kenntnis des Verlaufs der Organisation von Hilfe für Kinder sowie der Informationen über Schutz- und Betreuungsdienste für Kinder
  • Kenntnis um die Auswirkungen der Arbeit mit Gewalttätern und -opfern auf die Fachkräfte
  • Methoden der Entwicklung von Informationskampagnen zum Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Problem
  • Kontaktaufbau mit den Medien
Anforderungen an die Teilnehmer*innen

Das Training ist ausgelegt für Psychologinnen und NGO-Mitarbeiter*innen:

  • die sich mit den Problemen der häuslichen Gewalt beschäftigen bzw. sich um den Schutz von Frauen kümmern
  • die Kriegsrückkehrer bei der Reintegration in die Gesellschaft helfen.

Die Teilnehmer*innen müssen über ein entsprechendes berufliches Profil verfügen (Psycholog*innen, Ärzt*innen, Psychiater*innen, Sozialarbeiter*innen mit entsprechender Ausbildung, Sozialpädagog*innen, Defektolog*innen, Speziallehrkräfte für die Arbeit mit Menschen mit Behinderung). Außer beruflichen und zusätzlichen Kenntnissen müssen die Teilnehmer*innen Folgendes vorweisen:

  • Eine klare Begründung für ihren Wunsch, mit Gewalttätern zu arbeiten.
  • Lernbereitschaft sowie Bereitschaft zur persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung.
  • Verständnis und Akzeptanz der theoretischen Grundlagen zur Entstehung häuslicher Gewalt sowie der Ansätze zur praktischen Anwendung dieser Kenntnisse.