„Agenten des Wandels“ für den Frieden und gegenseitige Verständigung unter Kindern und Jugendlichen

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„Agenten des Wandels“ – so lautet der Name eines der von uns geförderten  sechs Kleinprojekte des Forumtheaters, die sich der Bearbeitung von Kriegsfolgekonflikten in der ukrainischen Gesellschaft widmen. Teilnehmende des Kleinprojektes „Agenten des Wandels“ sind binnenvertriebene Kinder, Kinder aus dem Kriegsgebiet, Kinder von (ehemaligen) Kriegsteilnehmer_innen sowie aus einem Waisenhaus der Stadt Odessa. Zusammengekommen sind diese Jugendlichen im Ferienlager „Lesnaja Zastava“ im Kiewer Gebiet. Hier haben sie unter der Anleitung der Trainerin, Psychologin und Mitarbeiterin der ukrainischen NGO „Für das Recht auf Leben“ Alina Danilenko eigene kriegsbedingte Konfliktsituationen bearbeitet und auf diesen aufbauend eine Forumtheaterinszenierung erarbeitet. Das Projekt soll insbesondere unter Kindern die Vorurteile und Stigmatisierungen – die gegenüber Binnenvertriebenen, (ehemaligen) Kriegsteilnehmer_innen, sowie den in der so genannten Grauen Zone wohnenden Menschen verbreitet sind – abbauen, so die Leiterin des Kleinprojektes Alina Danilenko.

Zusammen mit weiteren fünf Kleinprojekten wird „Agenten des Wandels“ im Rahmen unserer Schulungsreihe „Forumtheater in der Dialog-, Friedensarbeit und Mediation“ von uns finanziell gefördert und zudem fachlich unterstützt. Alina Danilenko ist eine der Teilnehmer_Innen dieser Schulungsreihe und setzt das hier erworbene Wissen und die Methodik des Forumtheaters in der Dialog- und Friedensarbeit mit ihrem Kleinprojekt nun in die Tat um.

Für die Aufführungen wurden zwei Szenen ausgewählt, die direkt aus dem Leben gegriffen sind und die realen Situationen der vom Krieg in der Ostukraine stark betroffenen Kinder darstellen. Die erste Szene zeigt den Konflikt eines binnenvertriebenen jungen Schülers, der aus einer Kleinstadt des Donezker Kriegsgebiets nach Kyiv zieht und in eine neue Schule kommt.  Er leidet sehr unter den Vorurteilen und der Diskriminierung durch seine Mitschüler. Nur eine Klassenkameradin, die ebenfalls aus der binnenvertriebenen Familie stammt, verteidigt ihn, doch können sich die beiden Kinder nicht ausreichend gegen die Angriffe der einheimischen Mehrheit wehren.

Das Szenario der zweiten Theateraufführung mit dem Titel „Zwangsvertreibung“ verhandelt vordergründig das Thema Eifersucht, doch wird schnell deutlich, dass der eigentliche Konflikt auch hier wieder das Stigma der Vertreibung trägt. Der Protagonist dieses Schauspiels ist ebenfalls ein Binnenvertriebener, dem die Einheimischen sein Fremdsein vorwerfen. Im Spannungsfeld von ‚Heimat’ und ‚Fremde’, von ‚Wir’ und ‚die Anderen’ hat der Binnengeflüchtete auch noch drei Jahre nach der Umsiedlung mit Ressentiments zu kämpfen.

Die Besonderheit des Forumtheaters besteht darin, dass jede Zuschauerin und jeder Zuschauer die Möglichkeit bekommt, einmal in die Rolle der Schauspieler_innen zu schlüpfen, sodass sich eine Vielzahl von unterschiedlichen Perspektiven ergeben kann. Die gleiche Szene wird mehrmals gespielt, doch wechseln dabei die Schauspieler_innen jedes Mal die Rollen und jede_r freiwillige Teilnehmer_In erhält so die Gelegenheit, eine eigene Lösung für den Konflikt vorzustellen. Die Zuschauer_Innen können auf diese Weise in beiden Stücken quasi zu „Agenten des Wandels“ werden: Sie können auf die Bühne gehen, eigene Lösungsvorschläge unterbreiten und den Konfliktbeteiligten helfen. So nutzte beispielsweise eine Gruppe von Schüler_Innen die Gelegenheit und trat aus dem Saal auf die Bühne. Sie ersetzten die vorherigen Schauspieler_Innen und machten mit ihrer Interpretation der erneut gespielten Szenen deutlich, dass in zwischenmenschlichen Beziehungen in erster Linie die Persönlichkeit und nicht die Herkunft des Menschen von entscheidender Bedeutung sein sollte. Zudem rückten die Schüler_innen das Mitgefühl in den Fokus ihrer Darstellung, denn angesichts der kriegsbedingten Konfliktsituationen in der Ukraine müsse man sich unterstützend zur Seite stehen. So schlugen die jungen Zuschauer in der zweiten Szene beispielsweise eine Lösung vor, in der die passiven Beobachter des Konfliktes die Festnahme des Protagonisten nicht etwa unschlüssig beobachten, sondern sich aktiv für diesen einsetzen sollten.

Für die meisten Teilnehmer_Innen bedeutet das Mitwirken im Forumtheater „Agenten des Wandels“ den ersten Versuch, selbst auf der Bühne zu stehen. Eine positive Erfahrung, die den Kindern und Jugendlichen dabei half, ihre inneren Sorgen öffentlich zu zeigen, liegt darin, die Rolle der Friedensagenten anzunehmen und gleichzeitig ihre eigenen Rechte, Freiheiten und ihre Würde zu verteidigen. Die zuschauenden Schüler_innen fühlten sich so sehr angesprochen und in die Aufführungen einbezogen, dass sie sich zum Ende der Veranstaltung an die Organisatoren wandten und sich für diese wertvolle Erfahrung bedankten. Darüber hinaus haben sie Interesse bekundet, den jungen Schauspieler_Innen nicht nur auf der Bühne, sondern auch im wirklichen Leben helfen zu wollen.

Aber auch die Lehrer_Innen waren sichtlich von der Methode des Forumtheaters begeistert, die es den Schüler_Innen ermöglicht, Eigeninitiative zu entwickeln und Interesse an möglichen Lösungsvorschlägen für Konflikte zu zeigen, die infolge des Krieges in der Ostukraine entstehen. Aufgeführt wurden die Vorstellungen des Forumtheaters „Agenten des Wandels“ in zwei Schuleinrichtungen des Kiewer Gebiets. Eine vollständige Videoaufnahme wird demnächst auf unserer Projektwebseite veröffentlicht.