Das Originalinterview auf Russisch ist auf der Homepage von KrymSOS am 28.07.205 veröffentlicht worden.
Vom 20. bis 22. Juni kamen NGO-Aktivisten aus der ganzen Ukraine nach Kyiv, um einander kennen zu lernen sowie Erfahrungen mit Jan Zychlinski, einem Sozilogen und Experten für Community Development aus der Schweiz, auszutauschen.
Das Interview fand während der Schulung „Community Development als Instrument zur Integration von Binnenvertriebenen“ im Rahmen des Projektes „Kriegsfolgen gemeinsam überwinden“ statt, das der DRA e.V. in Kooperation mit der ukrainischen NGO KrymSOS durchführt und das vom Auswärtigen Amt gefördert wird.
Wir haben Jan in der Pause getroffen und gefragt, was unter dem Community-Development-Ansatz konkret zu verstehen ist: Wie versöhnt man die Binnenflüchtlinge und die ukrainische Gesellschaft? Wie können die Schulungsteilnehmer die erworbenen Kenntnisse in der Praxis umsetzen?
– Jan, der Begriff „Community Development“ ist für die ukrainische Gesellschaft ungewöhnlich. Könnten Sie erläutern, was man darunter versteht und warum sollte man den Ansatz anwenden?
Im Laufe jedes beliebigen Konfliktes werden soziale Strukturen, soziale Bindungen und Institutionen zerstört. Community Development ist als Bindeglied, als Instrument zu verstehen, das der Gesellschaft in ihrer Entwicklung hilft, den Dialog zwischen den verschiedenen Seiten aufzubauen. Ich wiederhole oft: „Denken Sie an Ihre Nachbarn!“ Das ist sehr wichtig. Wir versuchen die Seiten zu versöhnen, und weg vom Begriff „Flüchtlinge“, „Binnenvertriebene“ zu kommen. Ich finde den Begriff „neue Nachbarn“ gelungen, den die Schulungsteilnehmer vorgeschlagen haben.
– Erzählen Sie uns, bitte, über Ihre Arbeitserfahrungen mit den lokalen Communities. Was führt Sie in die Ukraine?
,5 Jahre habe ich mit Flüchtlingen in Sri-Lanka nach dem Tsunami 2004 gearbeitet. In Deutschland habe ich die Integrationsprozesse von Neuhinzugekommen in den lokalen Communities erforscht. Vor drei Jahren bin ich nach Georgien gegangen, um mir die sozialen Siedlungen für Flüchtlinge dort anzuschauen. Außerdem bin ich oft im Kaukasus gewesen, als Ergebnis ist meine Dokumentation über die Lebensbedingungen von Flüchtlingen entstanden. Kurz darauf habe ich die Kollegen vom Deutsch-Russischen Austausch e.V. kennengelernt, die mich eingeladen haben, diese Schulung hier zu leiten.
– Jan, Sie kommunizieren viel mit den Schulungsteilnehmern: Welche Erwartungen stellen sie an das Training? Mit welchen Hoffnungen sind sie gekommen und welche Ergebnisse erwarten sie?
Die Teilnehmer erwarten in der Tat vieles. Sie interessieren sich für Fragen wie: Wie vereinigt man die lokale Bevölkerung und die Binnenflüchtlinge? Wie erkennt und löst man soziale Probleme? Wie „aktiviert“ man Menschen? Dabei wollen die Teilnehmer, wie auch internationale Organisationen, ein Wunder bewirkendes Rezept zur Lösung aller Probleme bekommen. Sie sind nicht darauf ausgerichtet zu lernen, wie man Probleme langfristig lösen könnte.
– Was ist für Sie ein erfolgreiches Training?
Ich möchte, dass jeder Teilnehmer als Trainingsergebnis einen Arbeitsplan zur Integration von Binnenflüchtlingen in die lokale Community für die eigene Region bzw. Organisation entwickelt. In meinen Schulungen gebe ich eine Auswahl an Instrumenten, die jeder Teilnehmer an die Situation in der eigenen Region anpasst. Glauben Sie mir, die entwickelten Programme werden unterschiedlich sein.
Nach dem Gespräch mit Jan wollten wir die Meinungen der Schulungsteilnehmer hören: Warum haben sie dieses Training ausgewählt; Was bedeutet für sie „Community Development“; Wie planen sie, das erworbene Wissen in der Praxis umzusetzen?
Anna Tschernova, Projektleiterin der Wohlfahrtsstiftung „Kindeslächeln“ berichtet über ihre intensive Beschäftigung mit der Integration von Binnenflüchtlingen und lokalen Communities. Auf die Frage, ob es ein Konflikt zwischen den beiden gäbe, nickt sie überzeugt mit dem Kopf und erzählt von den negativen Stereotypen über die Binnenflüchtlinge. Sie glaubt, dass Integrationsprojekte helfen, dieses Problem zu lösen. Annas Motivation für die Trainingsteilnahme besteht darin, neue Handlungsmöglichkeiten kennen zu lernen und einen eigenen „Handlungsplan“ zu entwickeln.
„Wir haben bereits Schulungen mit dem Deutsch-Russischen Austausch e.V. durchgeführt und haben auch tatsächlich Kultur- und Kinderintegrationsprogramme“ – erzählt Nadeschda Chomenko, Leiterin der Organisation „Das Land freier Menschen“. Sie berichtet viel über die Probleme, mit denen sie in ihrer Arbeit konfrontiert wird. Zur Frage, warum sie beim Training dabei sei und was sie davon erwarte, meint sie: „Ich will lernen, Konfliktfragen zu erkennen und, natürlich, die Zivilgesellschaft unter den Kriegsbedingungen zu unterstützen.“
Sergej Schivin, Leiter der Wohlfahrtsstiftung „Sofia“ in Cherson ist ebenso davon überzeugt, dass zwischen den Binnenflüchtlingen und den lokalen Gesellschaften ein Konflikt besteht: „Im Laufe des Jahres wurden die Probleme nicht gelöst. Heutzutage leben 4,5 Tausend Binnenflüchtlinge in Cherson, es gibt viele Probleme… Ich bin zum Training gekommen, um ein „Rezept“ zu bekommen, wie man die Binnenflüchtlinge und die lokale Bevölkerung vereinigen könnte. Wie kann man es anstellen, damit sie zu „neuen Nachbarn“ und Freunden werden.“